27/02/2025 0 Kommentare
Gedanken zum Monatsspruch März
Gedanken zum Monatsspruch März
# Impulse

Gedanken zum Monatsspruch März
Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. (3.Mose 19,33)
So lautet der Monatsspruch für den Monat März in diesem Jahr.
Mir fällt als erstes auf, dass im ersten Halbsatz ein merkwürdiger Wechsel zwischen zweiter Person Singular und zweiter Person Plural stattfindet. Wenn ein Fremder bei dir lebt! Was ich darin sehe, ist die Einsicht, dass ein Fremder, der bei mir lebt, bei mir wahrscheinlich, sehr sicher, ganz bestimmt, seine Fremdheit verliert. Er wird zum Freund, zur Nachbarin, womöglich zur Liebe des eigenen Lebens. Seine Fremdheit bleibt bestehen in der größeren Gruppe, wo er für den Rest seines Lebens als fremd wahrgenommen, und schlimmstenfalls direkt negativ beurteilt wird. Die Aufforderung an Israel, den Fremden, der bei dir wohnt, nicht zu unterdrücken, ist in den meisten Texten damit begründet, dass Israel doch weiß, wie das ist, fremd zu sein. Und diese Erinnerung ist eine persönliche: Du weißt es, du hast es gespürt, so angesehen zu werden usw. Als fremd wahrgenommen zu werden, ist nämlich eine Erfahrung der Vereinzelung schon immer. Die Ansprache mit „Du“ macht also sehr viel Sinn. Sie stammt aus der Erfahrung. Der Wechsel in eine Pluralform ist aber nicht weniger interessant und wichtig, denn wir Menschen sind in der Lage aus vereinzelten und gar einsam machenden Erfahrungen etwas Gemeinsames zu machen. Eine gemeinsame Erinnerung, eine Kultur, ein Geschichtsbewusstsein. Und dieses gemeinsame, so ist es unter uns Menschen ein ständiges Hin und Her, prägt dann wieder unser Selbstverständnis und unser Selbstbewusstsein. Und Vorsicht: Darum sind wir genau an dieser Stelle auch so empfindlich, verletzlich und ja, empfänglich für Lügen und Verschwörungserzählungen.
Ich möchte ihnen für den Monat März, nach Wochen, in denen die Angst vor dem Fremden unsere politische Diskussion so sehr bestimmt hat, und unsere Wahrnehmung von vielen anderen wichtigen Dingen überdecken konnte, einen kleinen Text von Elias Canetti mitgeben, weil ich wirklich denke, dass es beim DU anfängt, wie es sich oben in dem Bibelvers auch zeigt. Alles, was unser Gemeinsames prägt, beginnt bei der Haltung, mit der ich auf die Straße gehe und jemandem begegne, den ich noch nicht kenne, der mir vielleicht sogar als fremd begegnet, und ich weiß noch nichts von ihm:
„Von der Balance zwischen Wissen und Nichtwissen hängt es ab, wie weise einer wird. Das Nichtwissen darf am Wissen nicht verarmen. Für jede Antwort muss – in der Ferne und scheinbar gar nicht in Zusammenhang damit - eine Frage aufspringen, die früher geduckt schlief.
Wer viel Antworten hat, muss noch mehr Fragen haben. Der Weise bleibt ein Kind sein Leben lang, und die Antworten allein machen Boden und Atem dürr.
Das Wissen ist Waffe nur für den Mächtigen, der Weise verachtet nichts so sehr wie Waffen. Er schämt sich nicht seines Wunsches, noch mehr Menschen zu lieben, als er kennt; und nie wird er sich hochmütig absondern von denen allen, über die er nichts weiß.“
(Elias Canetti, Provinz des Menschen, 10f.)
Pfarrerin Dr. Ruth Huppert
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